Gardi Hutter in Hochform – mit einer roten Nase ist der Tod ein Witz

Sie gastiert in China und Chile, doch so weit ging sie noch nie: Gardi Hutter tritt mit ihren Kindern auf und verhandelt ihre eigene Endlichkeit – als Vorbild und Mutter. «Gaia Gaudi» im Theater Hechtplatz ist ein Höhepunkt des komischen Theaters.

Daniele Muscionico 15.10.2018, 18:00 Uhr

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Hanna (Gardi Hutter) trifft unterwegs in die ewigen Jagdgründe ihre Urmutter, die «Venus von Willendorf». (Bild: Sabina Wunderlin)

Wer schon alles von der wunderbarsten komischen Figur des Landes zu wissen glaubte, weiss nichts. Gardi Hutter ist gar kein Clown, sie ist eine Philosophin. Und eine Feministin. Und eine Ahnenforscherin. Und eine bildende Künstlerin. Und sie ist zudem zweifache Mutter, eine Rabenmutter, oder?

Oder wie ist zu verstehen, dass in ihrer neusten Produktion, «Gaia Gaudi», gemeinsam mit der unsterblichen Putzfrau Hanna auch Rabenvögel mit auf der Bühne stehen, monströse Urviecher, Bestiolen mit knochenweissen Schnäbeln? Und in keinem Programm vorher spielten auch ihre erwachsenen Kinder mit!

Die Sängerin Neda Cainero, der Perkussionist Juri Cainero sowie die Tänzerin Beatriz Navarro, Hutters Schwägerin, sind Teil des Kreativteams. Die Schöpfercrew ist dieses Mal generationen- und kulturübergreifend, man unterhält sich mit Obertonstimme oder auf Brabbel-Speak. Mit nichts mehr, aber auch mit nichts weniger gelingt der Familie ein Wurf in die Welt – eine hochpoetische und hochpräzise kollektive Sterbe- und Geburtsübung.

Von der Wiege bis zum Narren

Rabenvögel also sind Teil dieser rabenschwarzen Urmutter-Komödie, ist das psychologisch zu lesen? Wohl eher nicht, Thespis sei Dank. «Gaia Gaudi» in der Regie von Michael Vogel will alles andere als ein Psychodrama sein. Die schwarzen Omen sind mythologisch zu verstehen: Denn Hutter alias Hanna, ihre erfolgreichste Bühnenfigur und länger auf der Welt, als ihre Kinder alt sind, soll auf der Bühne endlich sterben. Die neue Generation fordert, berechtigt, Raum, Applaus und Anerkennung. Dass diese «La Mamma» zuvor zu einer Shakespearesche Königin krönte, der allerdings die Macht sehr schnell zu Kopf steigt, gehört wohl mit zu den unvermeidbaren biologischen Irrtümern und Notwendigkeiten.

Hannas Autorität also macht sich selbständig. Ihre Kinder und die Rabenvögel müssen handeln, sie planen – es geht hoch zu und her wie im griechischen Drama – den Muttermord. Die Zukunft will die Vergangenheit vergehen lassen und Hanna ins Jenseits befördern. Oder ist Hanna bereits tot, als sie zu Beginn des Abends ihr Pendant leblos auf dem Thespiskarren entdeckt? Lebt sie bereits in einer Zwischenwelt ein Zwischenleben zwischen Tod und Wiedergeburt? In acht Hanna-Programmen schien die Putzfrau sieben Mal am Ende bereits das Zeitliche gesegnet zu haben.

Urmütterlicher Schöpfungsakt

Doch in der Hanna-Totenmaske verbirgt sich Tochter Neda. Und wer steckt hinter allen Frauen, den Weibchen und Weibern mit und ohne rote Nase? Die «Venus von Willendorf»! Auch sie, die Urgöttin und Urmutter, wird in «Gaia Gaudi» auf der Bühne lebendig. Was für ein clownesker Schöpfungsakt! Die Steinzeit-«Mamma» ist Hanna wie aus dem gebärfreudigen Becken geschnitten, drall und prall ist alles an ihr. Und so findet die neuzeitliche Tochter angesichts der Ur-Schönen zurück zu sich selbst. Ihre emotionale Erschütterung bekommt auch das Publikum zu spüren, denn Mütter gibt es ja überall.

Hanna spielt, Hanna liebt, Hanna leidet – doch sterben will sie nicht. Oder kaum, oder ungern, zeigt sie vielleicht später noch Einsicht? «Gaia Gaudi» hat einen Anfang, aber das Stück hat kein Ende. Auch Beckett schrieb sein «Endspiel» ohne Schluss, Gardi Hutter und Familie haben «Gaia Gaudi» kreiert, und man kann das eine sehr wohl mit dem anderen auf einer Linie lesen.

Nach Zürich wird die erweiterte Hanna in Deutschland gezeigt; im Dezember dann beginnt die grosse Schweiz-Tournee, und bereits für 2020 sind Vorstellungen gebucht. Man müsste sich schwer täuschen, wenn aus «Gaia Gaudi», diesem urmütterlichen Schöpfungsbericht, nicht eine unsterbliche Erfolgsgeschichte würde – und wenn das Sterben der Hanna nicht vor allem ihre Wiedergeburt ist.

«Gaia Gaudi» am Zürcher Theater am Hechtplatz bis 21. Oktober.

 

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